Kapitel 1: Einleitung

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zuletzt geändert am 12.08.2011
um 13:21
von nielo
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Niels Heinemann

Vom 11. Juli 1986 an ereignete sich über etwa ein knappes Jahr der so genannte bundesdeutsche "Historikerstreit". Entgegen den Implikationen dieses Namens trug er die Charakteristika einer öffentlichen, nicht fachgebundenen und vornehmlich politischen Auseinandersetzung. Die Beiträge erschienen in den verschiedensten Medien der Tages- und Wochenpresse, vor allem in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) und der Hamburger Wochenzeitung "Die ZEIT". Sie erreichten ein breites, interessiertes Publikum. Der auslösende Artikel stammte von dem Frankfurter Sozialwissenschaftler und Philosophen Jürgen Habermas, der Veröffentlichungen der Historiker Ernst Nolte, Klaus Hildebrand, Michael Stürmer und Andreas Hillgruber zum Anlass einer bissigen Polemik nahm. Im Verlauf der anschließenden Debatte beteiligten sich neben HistorikerInnen1 auch PädagogInnen und JournalistInnen. Nahezu alle Beiträge enthielten dezidiert politische Vorbemerkungen und Grundgedanken, deren Gehalt und Implikationen den eigentlichen Kern der Auseinandersetzung ausmachten.

Im Rahmen dieser Arbeit soll diese politische Substanz herausgearbeitet werden. Dabei wird der "Historikerstreit" als eine Debatte um Vergangenheitsbewältigung2 betrachtet, in der es um die politischen Implikationen verschiedener Erklärungsmodelle zu den Ursachen und Charakteristika des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen ging. In einem allgemeineren Sinne war dies eine Kontroverse um Geschichtsdeutung als Beitrag zur historischen Fundierung und Legitimierung des öffentlichen politischen Selbstverständnisses der bundesdeutschen Gesellschaft. Um dieser These nachzugehen, sollen die wissenschaftlichen und politischen Streitgegenstände erläutert, ihre Verknüpfungen aufgezeigt und ihre nationalpolitische Brisanz erklärt werden.

Dazu ist es zunächst sinnvoll, den Kontext aufzuzeigen, in dem die Debatte sich ereignete. Denn die Frage nach Brisanz und Bedeutung der Streitgegenstände läßt sich nur beantworten, wenn die einschlägigen gesellschaftlich-politischen und wissenschaftlichen Gegebenheiten verdeutlicht sind. Die Entwicklung von Geschichtserinnerung und Vergangenheitspolitik im Bezug auf den Nationalsozialismus verspricht Hinweise auf die Besonderheiten geschichtspolitischer Vorstellungen im "Historikerstreit".

Die in den Jahren bis 1986 entwickelten Geschichtsbilder des Nationalsozialismus in der Forschung der BRD helfen im Verlauf der Arbeit, Bestehendes und Revisioniertes zu benennen.

Im Anschluss werden die Arbeiten dreier von Habermas kritisierter Historiker vorgestellt, deren Kenntnis für das Verständnis der Auseinandersetzung unabdingbar sind. Die Revisionsansätze zur Verortung des Nationalsozialismus und seiner Massenverbrechen in der Geschichte Deutschlands enthalten Konzepte und Theoriegebäude sowohl politischen wie auch wissenschaftlichen Gehalts. Ihre Analyse wird daher getrennt: Die zentralen geschichtswissenschaftlichen Fragen und Argumentationslinien werden im 4. Kapitel in ihren wesentlichen Punkten dargelegt. Sie haben für das Thema dieser Arbeit einen ähnlichen Stellenwert wie der Kontext der 1980er Jahre und bilden mit ihnen die Rahmen- und Vorbedingungen der politischen Kontroverse.

Deren Streitgegenstände ergeben sich so aus den Kapiteln 2 bis 4, und das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlich fundierter Revision und politisch motivierter Apologie kann durchleuchtet werden. Dazu werden die zu Tage getretenen Vorstellungen zu den Interdependenzen zwischen Geschichtswissenschaft und Nationalpolitk und zwischen politischem Selbstverständnis und nationaler Identität betrachtet. Im Abschluß werden die vorgeschlagenen Modelle von Vergangenheitsbewältigung deutlich.

Das Fazit dient der Bilanz und Bewertung. Überblicksartig werden die grundsätzlichen Fragen zum "Historikerstreit" beantwortet: Was machte die Bedeutung der Debatte und ihrer Beiträge aus? Was waren die Motivationen der Beteiligten, was ihre Ziele? Welche Positionen haben sich durchgesetzt? Welche Fragen bleiben offen.

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In dieser Arbeit wird versucht, semantische Ungenauigkeiten durch Verwendung feministischer Linguistik zu umgehen. Der Genus wird zum Beispiel durch das "grosse Binnen-I" erweitert, wenn von gemischtgeschlechtlichen Gruppen die Rede ist, oder ihre Zusammensetzung unklar ist.
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Dieser Begriff ist hier zu verstehen als eine weitestgehend vorbehaltlose Deutung und reflektierte Verarbeitung der geschichtlichen Vorbedingungen, auf denen Entwicklung und Charakter eines Individuums oder Kollektivs beruhen.
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